Dienstag, 2. Juni 2009

Krassomir

Queenstown: Sky Dive

Obwohl ich meinen Start für den Fallschirmsprung schon auf 11:30 vorverlegt hatte, zog sich die Zeit nach dem pünktlichen Verlassen des Campingplatzes um 10:00 noch ewig hin. Ist irgendwie auch kein Wunder, wenn man darauf wartet, aus einem völlig intakten Flugzeug zu springen, was mir umso bekloppter vorkam, je mehr sich der Zeiger der Turmuhr weiter bewegte. Kurz nach halb zwölf saß ich dann mit ein paar weiteren etwas verschreckt wirkenden Kreaturen in einem kleinen Raum des Anbieters und sah mir als erstes ein kleines "motivierendes" Video an, um einen Eindruck davon zu erhalten, was da gleich passieren würde. Nach dem Video waren die meisten auch nicht unbleicher, mich hatte es aber irgendwie eher beruhigt, aber vielleicht war das auch schon das Adrenalin, das mir den Verstand aus den Ohren quetschte.
Mit dem Bus karrten sie alle Sprungwilligen dann an den kleinen Flugplatz, steckten uns in coole Fluganzüge mit verstörend angenehmem Freiraum am Gesäß und stellten jeden einzelnen seinem persönlichen Flug- und Sprungbegleiter vor. Meiner hieß Krassomir und guckte mich etwas feindseelig an, als ich ihn fragte, ob er aus Russland komme. Optimaler Beginn eines Vertrauensverhältnisses, dachte ich mir... immerhin ist der Typ gleich für mein Leben nach dem Sprung zuständig, und ich verärgere ihn gleich mit dem ersten Satz. Perfekt!

Ich muss zu meiner Verteidigung sagen, dass der Kerl aussah, als hätte er in einem früheren Leben im Auftrag des KGB schon mehr Leute um die Ecke gebracht als er Finger an beiden Händen hat. Und ich hätte ihm ohne Probleme zugetraut, dass diese Zahl einstellig ist. Er teilte mir knapp einen Namen eines ehemaligen UdSSR Staates mit, den ich leider nicht verstand, und dann hielt ich auch meine Klappe. Aber ich dachte: Ehemalige UdSSR, dann lag ich doch gar nicht soo weit daneben mit Russland... ob ich ihm das nochmal sagen sollte? In diesem Moment zurrte "Krass" meinen Strampelanzug am Schritt etwas fester als notwendig und ich verkniff mir den Kommentar, der sich in meinem Kopf auf einmal eine Oktave höher anhörte.
Ich wurde mit drei weiteren Sprungwilligen zusammen mit den Sprungbegleitern in ein klitzekleines Flugzeug gestopft, in dem man kaum aufrecht auf dem Boden sitzen konnte. Ich stieg als letzter ein und mir wurde etwas mulmig, als der Pilot schon mit dem Start loslegte, als die klapperige Tür aus durchsichtigem Plastik direkt vor meinen Füßen noch nicht ganz zugezogen war. Innerhalb von wenigen Minuten stiegen wir mehrere Kilometer in die Luft und ich konnte spüren, wie die Luft extrem kälter wurde, die durch den breiten Schlitz an der durchsichtigen Tür ins Flugzeug pustete. Krass vergurtete mich gewissenhaft an sich selbst (schließlich war das ein Tandemsprung und ER hatte den Fallschirm!), zeigte auf seinen Höhenmesser, der sich auf 12.000 Fuß einpendelte, und machte die Flugzeugtür direkt vor meinen Füßen auf. In dem Moment wurde es dann ernst und für so etwas wie Widerstand gegen das was passierte, war mein Körper nicht mehr fähig. Wir rutschten langsam an die Flugzeugtür heran und da Krass derjenige war, der den eigentlichen Sprung aus dem Flieger machte, hing ich schon mit dem gesamten Körper aus dem Flugzeug, noch ehe wir gesprungen waren. Ich hörte Krass irgendwelche Zahlen rückwärts zählen und dann gings abwärts.

Das Fantastische war, dass dieses panische Gefühl zu fallen, nur für zwei oder drei Sekunden lang spürbar war. Danach beschleunigte der Körper kaum noch, so dass sich das ganze so anfühlte, als wurde man in einem kalten Luftzug weit über der Erde schweben. Wie schnell wir eigentlich der Erde entgegen rasten, wurde mir nur bewusst, als ich einen kurzen Blick auf Krass' Höhenmesser erhaschen konnte, der so aussah wie die Flugzeugamaturen in Katastrophenfilmen, kurz bevor jemand "Mayday, Mayday!" ruft und in einem Flammeninferno an den Klippen zerschellt.
Beim Fallen versuchte ich kurz, einen Schrei loszuwerden, wie man ihn halt nicht vermeiden kann, wenn man z.B. Achterbahn fährt oder am Gummiseil von einer Brücke springt. "WoooOOOoooW!!" war eigentlich geplant, aber bis zum zweiten W kam ich nicht mehr, da es nicht einfach ist, auch nur die simpeltsten Wörter zu artikulieren, wenn einem mit 200 km/h Luft um den Gefrierpunkt in den Mund pustet. Ich hielt zum zweiten mal die Klappe und genoss den Flug ... äh Fall und die Aussicht, die man wohl nicht besser bekommen kann. Nach 45s freiem Fall, öffnete sich mit einem Ruck der Fallschirm und wir segelten in großen Spiralen der Erde entgegen.
Etwas wackelig auf den Beinen torkelten alle Springer zum Bus zurück und tauschten sich aufgeregt aus. Die Sprungbegleiter waren weniger aufgeregt und verzurrten bereits die nächste Gruppe für den nächsten Flug. Immerhin hatte Krass schon über 15.000 (!) Sprünge hinter sich und machte täglich 10-20 weitere. Was fürn Job!
Die leichte Übelkeit am restlichen Tag wurde gern von mir in Kauf genommen für dieses einmalige Erlebnis, denn das ist so das - Achtung Wortspiel - krasseste, was ich wohl je gemacht habe und wird unvergesslich bleiben, auch wenn ich mir keine Fotos für zusätzliche 170 Dollar leisten konnte und wollte.

Nach einer kurzen Verschnaufpause fuhr ich mit den Queenstown dominierenden "Remarkables" im Rückspiegel bis nach Kingston weiter, wo die Landschaft in ebenes Farmland überging, was auf der einen Seite langweilig war, aber zur Abwechslung mal angenehm und nicht sonderlich anstrengend zum Fahren, was mir an diesem Abend ganz gelegen kam, Kurz nach dem Ort mit dem komischen Namen "The Key" fand ich einen verlassenen Lookout und suchte etwas wohlverdiente Ruhe in meinem Schlafsack.

Montag, 1. Juni 2009

Schwarze Löcher

Von Wanaka nach Queenstown

An diesen Tag sollte sich herausstellen, dass ich bisher einfach den richtigen Riecher für Reiseentscheidungen hatte. Die erste Entscheidung war, am Vortag nicht mehr im Dunkeln weiter zu fahren, sondern einfach links an den Straßenrand zu fahren und dort zu pennen. In der Nacht hatte es am Haast Pass nämlich stark geschneit und allein an der Strecke, die ich schon zurückgelegt hatte, kam es an diesem Abend noch zu zwei schweren Unfällen aufgrund von Glätte. Woher ich weiß, dass es Unfälle auf der Strecke gab, die ich schon gefahren war? Nun ja, ich habe die Strecke an diesem morgen noch zweimal zusätzlich zurückgelegt und zwar nicht in meinem Auto, was mich gleich zur zweiten guten Entscheidung führt, nämlich der, eine Road Side Service Versicherung abzuschließen.

Die Gabe, gute Entscheidungen zu treffen kommt allerdings anscheinend mit dem Manko daher, sich zum ersten mal im Leben aus dem Auto auszusperren. Sobald ich abends in den Kofferraum klettere, mache ich das Auto von innen an der Fahrertür komplett per Zentralverriegelung zu. Morgens suche ich normalerweise zu allererst nach dem Schlüssel, naja, das habe ich an diesem morgen nicht gemacht. Also ausgestiegen, in die Wolken geblinzelt und wumms, hat der Wind die Tür auch schon zugeschlagen. Auto zu, Simon draußen, ohne Schlüssel, ohne Handy, ohne Geld aber glücklicherweise schon mit Hose. *puh*

Also ab an den Straßenrand, Daumen raus, und gleich der erste Wagen hält an... gibt mir irgendwie zu denken, was für einen Eindruck ich wohl so am Straßenrand mache. Der freundliche Baustellenleiter aus Queenstown fährt mich also netterweise zum Infocenter in Wanaka, dort kann ich die Dame am Schalter mit meinem überwältigenden deutschen Charme davon überzeugen, mich ausnahmsweise ein Ferngespräch auf die Nordinsel führen zu lassen, von wo aus ich die Nummer des Road Side Services erfahren konnte. Nicht mal 10min später springe ich in das vorgefahrene gelbe Helferauto und sage dem professionell wirkenden Kfz-Geek, dass ich wohl so um die 20km vor Wanaka geparkt habe. Auf der Fahrt erklärt er mir, dass die Straße deswegen so gefährlich sei, da es einige "black holes" darauf gebe. Meine Güte, schwarze Löcher mitten auf der Straße, das klingt verdammt gefährlich... angewandte Physik in Neuseeland auf Höchstform oder wie? Nee, als "black holes" werden Straßenstellen bezeichnet, die den ganzen Tag über im Schatten liegen und daher oft auch bei sehr milden Temperaturen Bodenfrost haben. Aha, das macht irgendwie mehr Sinn. Und promt sehen wir an einem dieser Schattenflecken auf der Straße einen Krankenwagen und einen Polizeiwagen stehen. Zwei Polizisten sperren gerade einen Teil des Straßenrands ab, aber von dem Unfallauto ist nicht das geringste zu sehen. Anscheinend ist der Unglücksrabe mit so einem Affenzahn von der Straße abgekommen, dass es ihn meterweit in den Busch geschleudert hat. Gleich ein paar Meter weiter hat sich ein weißer Kombi frontal in der Felswand verewigt. Von dem Motorraum ist kaum noch etwas übrig. Bleibt nur zu hoffen, dass den Insassen nichts ernsthaftes passiert ist.

Bei Kilometer 25 zieht der gelbe Engel zum ersten mal die Augenbraue hoch und hält mich ab Kilometer 30 im Sekundentakt auf dem Laufenden, um wieviel ich mich aktuell gerade verschätzt habe mit meiner Entfernungsangabe. 46 (!) Kilometer von Wanaka entfernt finden wir endlich mein Auto, mein Kfz-Retter holt sein Einbrecher-Equipment heraus und hat das Auto innerhalb von Sekunden aufgeknackt... ohne auch nur die geringste Spur am Lack oder sonstwo. Als letzte Info lässt er mich noch wissen, dass mich das ohne Road Side Service Versicherung wohl so locker um die 300 NZD gekostet hätte. Glücklicherweise habe ich für 90 NZD eine solche Versicherung abgeschlossen, womit ich den ganzen Spaß umsonst bekommen habe. Ich hatte mich zwar gerade wie ein Blödmann aus dem Auto ausgesperrt und war (nur!) eine gute Stunde damit beschäftigt, wieder hinein zu kommen, aber in diesem Moment fühlte ich mich, als hätte ich gerade ein Schnäppchen geschossen, weil jemand beim Preisschild einen Kommafehler gemacht hatte. Dämliches Gefühl, aber egal.

Mittlerweile war der Schnee vom Vortag auf dem Pass wieder abgetaut, so dass dieser auch für Luschenautos wie meines eins ist, passierbar war. Am höchsten Punkt des Passes stand ich am Aussichtspunkt dann doch auf einmal wieder im Schnee und war fasziniert, was so ein paar Höhenmeter doch gleich für eine Auswirkung haben können. Ich fuhr die kurvige Bergstraße vorsichtig wieder herunter und nutzte so ziemlich jede Haltebucht, um den Ausblick für einen weiteren Moment zu genießen.





Übriges: Kurz vor dem Haast Pass liegt das Dörfchen Cardrona, das der eigentliche Grund dafür war, dass ich überhaupt diesen Schleichpfad nach Queenstown genommen hatte. In Cardrona sollte es nämlich eine der abgefahrensten Sehenswürdigkeiten Neuseelands geben, den Bra Fence. Das kam so: Zu Silvester 2000 machten sich einige mit Sicherheit angetrunkene Damen einen Spaß draus, ihre BHs an einem der Zäune des Dörfchens zu befestigen. Ein paar Tage später hingen dort schon über 60 Büstenhalter und bis 2006 wurde der Zaun immer wieder erweitert, so dass er zu seinen besten Zeiten an die 20km lang war! Der Bra Fence wurde so berühmt, dass es sogar eine Fernsehdoku über ihn gab und haufenweise Touristen vorbei kamen. Es wurde sogar eine Überdachung angelegt, um diese Aufreihung weiblicher Unterwäsche vor der Witterung zu schützen. Ein extra Parkstreifen wurde geplant, um die Gefahr durch plötzlich mitten auf der Landstraße anhaltende Wohnwagen zu mindern, und Ehemänner aus aller Welt schickten Unterwäsche ihrer verstorbenen Frauen nach Cardrone, um ihnen damit so eine Art letzte Ehre zu erweisen, was natürlich Geschmackssache ist. Soweit der Stand meines Reiseführers.
Ich war also sehr gespannt auf diese obskure Umzäunung, wurde allerdings enttäuscht. Der Bra Fence besteht nicht mehr. Mein gelber Engel brachte mich auf der unterschätzt langen Fahrt auf den aktuellen Stand: 2007 hatte ein amerikanischer Farmer ein Stück Land gekauft, an dem der Bra Fence vorbei führte. Der Farmer importierte die Doppelmoral des amerikanischen Fernsehens (Brustansätze werden zu jeder Tages- und Nachtzeit zensiert, aber das Kinderprogramm am Nachmittag wird schon mal für einen Selbstmörder mit Pumpgun auf dem Highway unterbrochen, dessen auf dem Asphalt verteilte Hirngrütze dann in Großaufnahmen gezeigt wird) und ging durch alle Instanzen, um den Bra Fence entfernen zu lassen und schaffte es schlussendlich, als ein Gericht ihm zustimmen musste, dass der Zaun ein Sicherheitsrisiko darstellt, da er Autofahrer ablenke. Und tatsächlich war es auf der Strecke schon zu Auffahrunfällen gekommen, weil übermüdete Familienväter am Steuer eines weißen Urlaubscontainers dann doch nicht die Augen von der Reizwäsche nehmen konnten und wem anders drauffuhren, der sich das ganze noch etwas länger und genauer anschauen wollte, ohne dafür aber die Straße zu verlassen.
Nicht weiter schlimm, am höchsten Punkt des Haast Passes gab es auch so genügend Hügel zu betrachten.


Für mich ging es weiter nach Arrowtown, einem forciert idyllischen Dorf, das sich so dermaßen dem Goldgräber-Motto verschrieben hat, dass selbst der Immobilienmakler in einer Kaschemme untergebracht ist, die problemlos einem Lucky Luke Comic entsprungen sein könnte.


In Queenstown angekommen wird schnell klar, warum das die Funsport-Hauptstadt Neuseelands ist. Es gibt schneebedeckte Berge in nächster Nähe, einen See, der in eine wassergefüllte Schlucht übergeht und eine Menge Sonnentage, die zusammen mit stabilen Windverhältnissen hunderte von Touris täglich in die Luft gehen lassen. In der Hauptstraße laufen auch dementsprechend viele Teenis rum, die in wenigen Stunden ganze Bruttosozialprodukte kleiner afrikanischer Staaten in Nervenkitzel investieren. Ich fühle mich plötzlich ganz alt und buche mit dem durch Übernachtungen in der freien und kostenlosen Natur gesparten Geld einen Fallschirmsprung aus 12.000 Fuß für den nächsten Tag. Etwas paralysiert davon, dass ich jetzt nicht mehr wirklich einen Rückzieher machen kann, schiebe ich mir bei Fergburger einen Gourmetburger vom Feinsten rein und latsche dann die überflüssigen Kalorien im Stadtpark am See ab, wo es einen Frisbee-Golfplatz gibt. Frisbee-Golf! Wie cool ist das denn bitte!?!