Dienstag, 26. Mai 2009

Backpackersklaven

Vom Lake Rotoiti nach Karamea

Nach einer verdammt kalten Nacht am Lake Rotoiti verpasste ich den morgentlichen Nebel über dem See leider ganz knapp, weil ich zuerst mein Auto enteisen musste. Die Temperaturen luden nicht gerade zu Outdoor-Aktivitäten ein, trotzdem traf ich am Ufer eine Kanadierin, die zusammen mit ihrer Freundin gerade eine zweitätige Kajaktour gebucht hatte. Leicht fröstelnd standen die beiden am Ufer und konnten sich noch nicht so recht aufraffen, ihre Sachen für den Trip zusammenzupacken. Wir unterhielten uns noch ein Weilchen, bis mir schließlich auch zu kalt wurde, ich ihnen noch viel Spaß auf dem Wasser wünschte und meinen Weg fortsetzte.




Es ging weiter zum zweiten See im Nelson Lakes National Park, dem Lake Rotoroa, der gleich nebenan am Hügel liegt und irgendwie genau so aussieht wie der Lake Rotoiti. Dort war der Steg auch leider von einem Boot zugeparkt, so dass ich die mir so ans Herz gewachsene Steg-Idylle leider nicht eingefangen werden konnte. Außerdem schwammen dort ein paar schwarze Schwäne mit zwei Jungen herum, die den Steg wie ihren privaten Bootsanleger mit lautem Fauchen verteidigten.
Ich ging einer Konfrontation aus dem Weg und fuhr weiter nach Murchison, wo es eigentlich nichts zu sehen gibt, außer der längsten Hängebrücke Neuseelands. Eine ziemlich wackelige Angelegenheit, die nicht einfacher gemacht wird dadurch, dass ich durch den Metallgitterboden direkt auf den einige viele Meter weiter unten fließenden Fluss schauen konnte. Auf der anderen Seite gab es dann noch ein paar Walks mit Schautafeln, aber die waren wohl nur dazu da, die Überquerung der Brücke zu rechtfertigen. So führte z.B. einer der kurzen Wege zu eine alten "Goldmine", die sich allerdings nur als Loch im Boden herausstellte, das von einer klitzekleinen Wellblechhütte umgeben war, die darüber hinaus noch nicht mal begehbar war. Aber naja, die Hängebrücke an sich war schon beeindruckend genug. Ganz Wagemute konnten sich auf dem Rückweg auch gegen Extrabezahlung an einer Seilbahn über dem Fluss schießen lassen... eine etwas erzwungenes Fun-Angebot, aber selbst dafür findet sich immer jemand, der ein paar Dollar über hat.



Ich fuhr weiter der Westküste entgegen und kam auf dem Highway 6 durch Hawks Craig, einem von Hand in den Fels gehauenen Überhang, der die Straße durch die enge Buller Gorge überhaupt erst möglich machte und den Goldsuchern damals in der Gegend das Leben um einiges leichter machte.




Ich kam an der Westküste der Südinsel in dem Städtchen mit dem überaus sinnvollen wie fantasielosen Namen Westport an und fuhr von dort an der Küste entlang nach Norden. Zuerst ging es kilometerweit geradeaus und ich konnte beobachten, wie der Busch zur rechten Seite dem Strand auf der linken Seite der Straße immer näher kam und ihn schließlich erreichte. Dies hatte zur Folge, dass die Straße auf einmal in einen Serpentinenpfad überging und mich auf einem ewigen Kurvenweg nach Karamea brachte, dem nördlichsten Dorf der Westküste und der wahrscheinlich abgeschnittensten Ortschaft Neuseelands, die übrigens noch weiter nördlich liegt als Wellington auf der Nordinsel.

Da es schon so langsam dunkel wurde, checkte ich einfach in dem Hostel mit Campingmöglichkeit ein, das im Reiseführer als erstes genannt wurde, was - wie sich noch zeigen sollte - definitiv ein Fehler war. Das Rongo Backpackers wurde im Lonely Planet schon als etwas alternativ beschrieben, doch auf den ersten Blick machte es einen ziemlich netten Eindruck. Ich wurde von einem Alt-Hippie empfangen und gleich auf der gesamten Anlange herumgeführt, obwohl ich nur für eine Nacht dort campen wollte. Von der Einrichtung her war die Unterkunft sogar geradezu innovativ: Es gab ein großes Wohnzimmer mit offenem Kamin, einen großen Kräuter- und Kaktusgarten, ein holzbefeuertes Bad unter freiem Himmel, kostenloses WLan und sogar einen eigenen Radiosender in der Garage, der das gesamte Dorf beschallte. Ich stellte mein Auto im Vorgarten ab und setzte mich zu einem vernünftig aussehenden Engländer (Name mittlerweile leider entfallen) ins Wohnzimmer und kam auch gleich nett ins Gespräch. Soweit sogut.
Dann wurde es ganz schnell ganz eigenartig: Die anderen Bewohner des Hostels kamen nach und nach zurück, ignorierten mich aber völlig, antworteten nur knapp und abgehackt auf meine Versuche, ein Gespräch zu starten, und gaben mir ganz und gar das Gefühl, überflüssig und ungewünscht zu sein. Ich war schon kurz davor, mich einfach zurückzuziehen, was ich retrospektiv wohl auch hätte machen sollen.

Abends war so eine Art Gemeinschaftsabendessen geplant, zu dem jeder eine Kleinigkeit vorbereitet. Da sich aus Dosensuppen wenig zaubern lässt, stellte ich in Absprache mit dem Alt-Hippie eine Flasche Wein auf den Tisch und hielt mich beim Essen zurück. Mittlerweile war auch der Besitzer des Hostels eingetroffen und das Gespräch beim Essen - eher der Monolog des sehr von sich selbst überzeugten Chefs - drehte sich um das Hostel als Business und die Schwierigkeiten, die damit an einem so abgelegenen Ort wie Karamea verbunden sind. Mittlerweile war auch klar, dass alle Leute dort außer mir schon seit mehreren Wochen im Hostel kleinere Arbeiten verrichteten und dafür mit Unterkunft vergütet werden. Sogenannte Wwoofers also (Wwoof = willing workers on organic farms). Im Grunde war ich somit der einzige zahlende Gast. Der Besitzer fängt an, über seine Zielgruppen zu schwafeln, die er mit seinem Hostel anziehen will und spricht mich direkt an. Nebenbei: Das einzige, was er davor von mir erfragt hatte, war mein Name und die Anzahl der Nächte, die ich bleiben wollte. Auf dieser Grundlage muss ich mir den nächsten Satz vor versammelter Mannschaft anhören:
"Simon, nichts gegen Dich persönlich, aber ich werde meine Zeit nicht damit verschwenden, mich mit Dir zu unterhalten, da Du morgen sowieso weg bist." An dieser Stelle musste ich spontan und kurz auflachen, weil das einfach zu dreist war, um wahr zu sein. Ich selbst habe mir nicht die Mühe gemacht, das zu kommentieren, da diese Äußerung - wie schon der gesamte Monolog davor - nicht darauf ausgelegt war, diskutiert zu werden. Mich erstaunte allerdings, dass kaum einer der dort am Tisch sitzenden Backpackersklaven auch nur eine Regung bei dieser Äußerung gezeigt hat und einzig der Engländer, mit dem ich mich zu Anfang nett unterhalten hatte, versuchte, vorsichtig kontra zu geben und sich dafür eine Bemerkung über seine allgemeine Intelligenz anhören durfte.

Während ich noch darüber grübele, ob ich mich nicht doch vielleicht verhört haben könnte, schwadroniert der Chef weiter darüber, dass ja nur echte "Traveller" (also seiner Meinung nach Leute, die mindestens zwei Wochen an einem Ort bleiben) überhaupt richtige Reiseerfahrungen machen können und wie er sein "Business Modell" darauf einstellen möchte. Ein wenig später kommt allerdings heraus, dass sein Unternehmen noch nie grüne Zahlen geschrieben hat, was mir ein etwas zu offensichtliches Schmunzeln entlockt. Als einzig zahlender Gast lasse ich die Backpackersklaven den Tisch abräumen und diskutiere - nachdem die restlichen Leute sich nach dem Essen in Sekundenschnelle in Luft aufgelöst haben - mit dem Engländer noch lange über Umgangsformen und direkte Auswirkungen dieser auf Gästezahlen. Im Endeffekt stellt sich heraus, dass der Engländer auch erst seit gestern da ist und das sein erster richtiger Abend mit den Bewohnern des Hostels ist und er noch für zwei Wochen bleiben werde. Die restlichen Bewohner seien schon wesentlich länger da und kennen schon die Ansichten und Monologe des Besitzers, was erklären würde, warum sie alle die Klappe gehalten haben. Einer sei sogar schon seit vier Jahren (!) dort.

Meiner Meinung nach macht dieses Hostel zwei Sachen falsch:
  1. Es bewirbt sich selbst in Reiseführern als allgemeine Unterkunft, obwohl ganz klar geworden ist, dass nur Langzeitreisende oder Hippies gewünscht werden, die durch das wwoof Programm ausgenutzt werden können.
  2. Reisende, die nur eine Nacht da bleiben, sollten nicht beleidigt werden, denn die Leute, die Unterkünfte für Reiseführer testen, bleiben schließlich auch nur eine Nacht dort
Mir drängt sich ein wenig das Gefühl auf, dass der Besitzer so eine Art Community schaffen möchte, dies aber so dermaßen erzwingt, dass sich die Bewohner völlig abschotten, was eher in einer verlogenen Gemeinsamkeit gipfelt als in einem wirklichen Zusammensein. Diesen Eindruck bestätigten mir zwei der Backpacker, nachdem sie sich vergewissert hatten, dass der Besitzer schon gegangen war und schauten sich auch mehrmals um, ob auch keiner der anderen Bewohner hören könne, was sie da gerade sagen.
Alles in allem war das die bisher eigenartigste Begebenheit meiner Reise. Dieser krasse Gegensatz war einfach verblüffend: Die Unterkunft an sich war fantastisch gemütlich, doch die Leute darin sendeten so einen unterkühlten "Vibe" aus, dass ich jeden vermoderten Campingplatz dieser Hippiehütte vorziehen würde.

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