Freitag, 29. Mai 2009

Die Tränen des Lawinenmädchens

Von Franz Josef zur Bruce Bay

Da ich bisher noch nie einen Gletscher live gesehen hatte, war ich entsprechend gespannt. Ich hatte schon einige coole Fotos gesehen von Leuten, die in blauen Eishöhlen rumlaufen und mit großen Eishacken auf massive Eisplatten einhämmern. Sowas wollte ich auch. Dann gleich die schlechte Nachricht am Infoschalter: Zu diesen blauen Höhlen aus Frischeis kommt man nur im Rahmen einer geführten Tour mit dem Hubschrauber. Kostenpunkt: Für mich unbezahlbar. :( Und bei den billigeren Touren ohne Heli konnte man nur ein wenig unten am Gletscher rumlaufen und zuhören, was der geschulte Guide einem so über Gletscherhistorie und so weiter zu erzählen hatte. Boooring.
Ich begnügte mich also mit dem ganz normalen Walk zum Gletschertor, was auch schon beeindruckend genug war, wie ich fand. Zuerst ging es etwas durch den bekannten und allgegenwärtigen Busch und dann durch das ehemalige Flussbett des Gletscherflusses. Ehemalig deswegen, weil der Gletscherfluss alle paar Wochen seinen Weg ändert in dem Tal, welches durch die Gletscherbewegungen im Laufe der Zeit geschaffen wurde. So ein Gletscher bewegt sich nämlich recht schnell, was ich bisher nicht wusste. 1943 zerschellte ein Flugzeug 3,5km über dem Gletschertor (Ende des Gletschers). Sechseinhalb Jahre später erschien das Flugzeugwrack am Ende des Gletschers, was nach Adam Riese eine Eisgeschwindigkeit von 1,5m pro Tag bedeutet. Manchmal können es sogar 5m pro Tag werden. Damit leuchtet auch ein, warum Gletscher für Wanderer so gefährlich sein können, da sich ihre Beschaffenheit praktisch stündlich ändern kann.



Auch die Ausdehnung des Gletschers hat sich über die Jahre gewaltig geändert. Heute ist die Eiszunge ungefähr 13km lang, um 1970 war sie einige Kilometer kürzer, um 1750 reichte der Gletscher bis zum Parkplatz, der zu Fuß immerhin eine Stunde entfernt war und vor 2000 Jahren bedeckte das Eis sogar die Stelle, wo heute das Dorf Franz Josef ist. Überall am Boden konnte man abgeschrubbte Steinreste finden, die der Gletscher von den Felsen übrig gelassen hatte als er sich durch die Landschaft schob. Auch an den klippenartigen Felswänden waren überall Gletschernarben zu erkennen.




Der für Neuseeland etwas ungewöhnliche Name Franz Josef wurde übrigens von Julius Haast in 1865 zu Ehren des österreichischen Kaiser vergeben, als er das Eisgebirge als erster Europäer entdeckte.
Die Maori haben natürlich wieder eine romantische Story, die sich um die Entstehung des Gletschers dreht: Sie nannten den Gletscher früher "Ka Roimata o Hine Hukatere" bzw. "Tränen des Lawinenmädchens". Der Legende zufolge kletterte das Lawinenmädchen, dessen liebste Beschäftigung das Wandern im Gebirge war, zusammen mit ihrem Geliebten in die Berge, wo dieser tragischerweise zu Tode stürzte. Das Lawinenmädchen vergoss bittere Tränen, die zu der Gletscherzunge gefroren.
Nachdem ich mich sattgesehen hatte, machte ich noch einen kurzen Abstecher zu Peter's Pool, in dem sich der Franz Josef Gletscher wunderbar spiegelt.


Gleich danach ging es zum benachbarten Fox Gletscher, dessen Zugang allerdings gesperrt war, da vor einigen Tagen ein paar hundert Tonnen Stein an den Talwänden herunter gekommen waren und den Weg etwas demoliert hatten. Selbst die Straße zum Parkplatz am Gletscher musste umgeleitet werden, weil sich das Ergebniss eine Erdrutsches auf der alten Straße breit gemacht hatte.



Lustigerweise werben die Unternehmen, die Führungen am Fox Gletscher durchführen, für sich, indem sie den Fox mit dem Franz Josef vergleichen. Der Fox sei zwar kleiner, dafür nicht so steil, also nicht so anstrengend und man komme näher an ihn heran etc. Interessanterweise wird der Name des Franz Josef in den Prospekten nie erwähnt, es ist immer nur die Rede von "other local glacier" *gg*. Das erinnert ein wenig an die Werbung für Spülmittel: Während Villarriba mit Fairy Ultra spült und seine überdimensionierte Lassagne-Schale schon sauber geschrubbt hat und sich italienischen Weißwein hinter die Schläfen kippt, putzen sich die Leute aus Villabacho noch immer die Finger wund, weil sie leider nur ein "herkömmliches Spülmittel" verwenden. Wann werden sie lernen... wann?
Während Julius Haast den Franz Josef nach seinem Kaiser benannte, hat der Fox Gletscher einen fast ebenso selbstlosen Namen. 1872 benannte der damalige Premierminister Sir William Fox den Gletscher einfach nach sich selbst... grandios.
Jetzt weiß ich auch endlich, was Gletschermehl ist. Das sind kleinste Gesteinspartikel, die der Gletscher zerrieben hat und von dem Gletscherfluss abgeführt werden, der dadurch milchig getrübt wird.

Kurz vor Sonnenuntergang machte ich noch schnell die Runde um den Lake Matheson, der für seine Spiegelungen berühmt ist. Dummerweise plantschte die ganze Zeit ein Entenpaar darin herum, was natürlich die spiegelglatte Oberfläche etwas versaute. Dummerweise ist Jagen in dem Nationalpark verboten, sonst hätte ein gezielter Schuss mein fotografisches Problem gleich zusammen mit der Abendessenfrage geklärt. Ich übte mich in Geduld und erwischte einen stillen Moment.





Zur Nacht parkte ich einfach an der Bruce Bay und genoss den Sonnenuntergang. Kaum hatte ich mich da werbewirksam positioniert, kamen auch gleich ein paar Campervans angefahren und machten es mir nach, mit dem Unterschied, dass die windscheuen Touristen sich nicht aus ihren weißen, rollenden Schlafkästen trauten und mich durch ihre Autoscheiben beobachteten, anstatt die Natur in vollen Zügen zu genießen. Ich machte mir mein Essen direkt am Strand warm, holte eine große Flasche Wein aus meiner Kühltasche und prostete dem Sonnenuntergang mit einem kräftigen Schluck zu. Zufrieden beobachtete ich die neidischen Touristenumrisse in ihren Vans und löffelte meinen Topf leer. Ich meine, wo liegt der Sinn, sich direkt mit dem Auto am Strand zum Übernachten hinzustellen, wenn man sich nicht mal die Mühe macht, wenigstens einmal kurz die Nase in den Wind zu stecken und zu schnuppern, wo man eigentlich gelandet ist. Mir egal, ich genoss das in diesem Moment beste Essen der Welt und leerte zusammen mit der Sonne das Glas.

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